Verbundenheit in der Geschichte…

Ich möchte hier ein paar Zeilen beisteuern zu Fragen des genossenschaftlichen Wirtschaftens und der gegenseitigen Hilfe. Sie beschäftigen mich nicht nur theoretisch, als interessante Kapitel der Geschichtsschreibung und der Soziologie, sondern seit einigen jahren auch praktisch, seitdem ich Mitglied eines größeren genossenschaftlichen Wohnprojekts bin und hier eine intensive Zusammenarbeit erfahre.

Seit Jahrzehnten stoße ich immer wieder auf die geschichtlichen Tatsachen der ursprünglichen Gemeinschaften wie z.B. Stämme und Sippen, auf Weiterentwicklungen wie Dorfgemeinschaften und Stadtrepubliken im europäischen Mittelalter. Können wir aus solchen Aspekten der Geschichte für die heutigen Aufgaben Anregungen bekommen, andere Wege der Existenzsicherung zu finden als durch individuelle Bereicherung und Konkurrenz?

Alle Zeiten, alle Regionen der Erde haben leistungsfähige praktische Formen des Zusammenlebens und Zusammenschaffens entwickelt, die direkt aus der Verbundenheit erwachsen. Verbundenheit bedeutet nicht Freiheit von Konflikten, von Konflikten der Interessen und der Persönlichkeiten, aber sie bietet Wege der vernünftigen gemeinschaftlichen Lösung.

Die meisten Zeitgenossen wissen nichts über die geschichtlichen Entwicklungslinien, gleichwohl haben wir Verbundenheit auch in unseren heutigen europäischen kulturellen „Genen“.

Man denke an die weltweite vieltausendjährige Tatsache der Dorfgemeinschaft.

Dorfgemeinschaften sind ursprünglich verwurzelt in den Beziehungen der biologischen Verwandtschaft, welche Horden und Sippen konstituierten. Sie sind soziale und kulturelle Gemeinschaften, in denen weiterhin Elemente des ursprünglichen Gemeinbesitzes eine praktische Rolle spielen, in denen starke Traditionen der Gleichberechtigung (zumindest unter den Vollmitgliedern) und demokratische Entscheidungen immer Bedeutung hatten. An manchen Stellen der Erde sind noch heute Dorfgemeinschaften die dominierende soziale Form, in der erhebliche Teile der Produktion kollektiv betrieben werden und mitunter erhebliche Teile des Besitzes noch kommun sind.

Aber auch in Gesellschaften wie den europäischen, in denen Agrarproduktion mittlerweile nicht mehr die zentrale Bedeutung hat und unter ganz anderen Formen betrieben wird, lebt die Dorfgemeinschaft verwandelt weiter.

Die Dorfgemeinschaft war diejenige soziale Grundform, in der bspw. die germanischen Stämme sich traditionell ansiedelten und in der sie später in den eroberten Territorien des früheren Römischen Imperiums sich niederließen. Diese Dorfgemeinschaft war der Ausgangspunkt späterer, mittelalterlicher demokratischer Orts- und Städteverfassungen und Vorläufer kommunalen Gemeinbesitzes. Die Städte des deutschen Mittelalters und anderer europäischer Regionen (wie Norditalien) sind Stadtrepubliken gewesen, demokratische Gemeinwesen vom Prinzip her. Sie beherbergten zwar durchaus bereits viel Privatwirtschaftlich-Frühkapitalistisches wie den Fernhandel und mussten sich auch mit aristokratischen und klerikalen Einsprengseln ständig auseinandersetzen, aber auf der anderen Seite hatten sie auch weiterhin tragende gemeinschaftliche, „kommunale“ Funktionen inne. Sie forderten die gemeinschaftliche Verantwortung aller freien Bürger für eine möglichst gemein-nützliche wirtschaftliche und soziale Entwicklung und pflegten einen erheblichen Gemeinbesitz, der allen zugute kommen sollte.

Die demokratischen Gemeindeverfassungen bspw. Deutschlands, aber auch anderer Teile Europas, sind im Grundbestand viele hunderte Jahre älter als die mehr oder weniger demokratischen Staatsverfassungen der Neuzeit, etwa die Staatsverfassungen seit der Französischen Revolution von 1789. Sie sind eingeschrieben in unseren kulturellen Genen und harren der Wiederentdeckung und Wieder-Praktizierung.

Bis ins 20. Jahrhundert hinein existierte in Russland die Dorfgemeinde, die Obschtschina, in der es noch immer tatsächliches Gemeineigentum in erheblichem Umfang gab und teilweise selbst die Äcker noch nicht privates Eigentum waren, sondern reihum bewirtschaftet wurden. Im Westen Europas gab es bis ins 19. Jh. hinein immerhin noch Reste der Allmende, des Gemeinbesitzes an Wäldern, Wiesen und Gewässern, der zuvor im Mittelalter für die Dörfler ein zentraler Wirtschaftsfaktor gewesen war. Sie hatten ihn erst im Lauf der Jahrhunderte an die Grundherren und den Staat verloren.

Die heutige globale kapitalistische Wirtschaft hat enorme riesige Formen von Verbundenheit geschaffen, die allerdings auf der Zerstörung der ursprünglichen Verbundenheiten, bspw. der Dorfgemeinschaften in Entwicklungsländern, aber auch der früheren basisdemokratischen Praktiken in den entwickelten Ländern basieren. Milliarden voneinander getrennter Einzelmenschen sind heute ans Kapital ausgeliefert und dieses erzwingt andere Formen der Kooperation, zumeist als hungergetriebene Lohnarbeit in den Plantagen, in der Rohstoffgewinnung, den internationalen Handels- und Verarbeitungswegen, in den Fabriken. Die natürliche kooperative Verbundenheit der Menschen wird zerstört und von einer zeitweilig sehr produktiv erscheinenden, letztlich aber selbstzerstörerischen Zwangsgesellschaft verdrängt.

 

Es wird Zeit, uns der Tatsache unserer universellen Verbundenheit wieder bewusster zu werden. Wir hängen alle miteinander zusammen und voneinander ab und das ist gut so, es macht uns stark. In Zeiten massiver Bedrängnis durch einen „Corona“-Staat beginnen wir das wieder intensiver zu spüren. Wir beginnen uns gegenseitig zu stützen und zu inspirieren und nur so sind wir in der Lage, uns auch individuell zu entwickeln und Glück zu empfinden.

Es gilt unter anderen auch die Möglichkeiten wirtschaftlicher Kooperationen wiederzuentdecken, die auf Verbundenheit und Gemeinnutz beruhen. Die Isolation der einzelnen abhängig Beschäftigten voneinander durch „Arbeitgeber“, das stumpfsinnige Konkurrieren profitorientierter Unternehmen gegeneinander, die Verschleuderung der menschlichen Fähigkeiten und materiellen Ressourcen im Egoismus-getriebenen kapitalistischen Alltag sind keine Naturgesetze.

Natürlich ist es vielmehr, individuelle Selbstverantwortung zu kombinieren mit Empathie, Füreinander-Dasein und Kooperation. Es wird beispielsweise Produktionsgenossenschaften, Konsumgenossenschaften, Wohngenossenschaften, genossenschaftliche Alten- und Kinderbetreuung und vieles mehr geben. Was wäre selbstverständlicher?

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