Das Prinzip des Kosmos

Eine Bestätigung für die Verbundenheit aller Wesen kommt ausgerechtet von einer „harten“ Naturwissenschaft, nämlich der modernen Physik. Sie macht uns unmissverständlich deutlich, dass unser Gefühl, allein, isoliert und abgetrennt von einander zu sein, eine Illusion ist, die mit der Wirklichkeit in keinster Weise übereinstimmt.

Als ich mich mit der Quantenphysik beschäftigte, war es für mich faszinierend zu sehen, dass sie auf ihre empirisch-mathematische Weise zu einer Erkenntnis kam, die mir in Momenten meditativer Versenkung auch als innere Einsicht einleuchtete: Alles, was existiert, existiert in Verbundenheit.

Ich bin verbunden mit jedem Stein auf dem Weg, jedem Baum, jedem Stern, jedem Fremden, der mir auf der Straße begegnet, und genauso mit dem Nachbarn, mit dem ich gerade in Konflikt geraten bin.

Diese Erkenntnis von Verbundenheit ist für mich im Alltag Verheißung und Herausforderung zugleich. Denn sie verlangt von mir, eingefahrene Verhaltens- und Sichtweisen aufzugeben zugunsten einer Offenheit, in der sich Neues zeigen kann.

Im Umgang mit der Natur beispielsweise heißt das für mich: Ich lassen die gewohnheitsmäßige, zweckbezogene Perspektive zurück und begegne den Tieren und den Pflanzen als lebendige, fühlende Wesen, mit denen ich so Resonanz treten kann, dass sie mir ihre eigene Wahrheit offenbaren können.

In der Auseinandersetzung mit dem Nachbarn heißt das: Ich gehe dem Konflikt und all den unangenehmen Gefühlen, die sich damit verbinden, nicht aus dem Weg. Ich lasse mich darauf ein, weil ich weiß: In dieser Situation schlummert ein kreatives Potential, das uns wieder neu – und sogar noch inniger − miteinander verbinden kann.

Im folgenden Text nehme ich Euch mit in die Gedankenwelt von Hans-Peter Dürr.

 

Verbundenheit ist das Prinzip des Kosmos

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat sich im Denkgebäude der Physik eine Revolution ereignet: Die Quantentheorie stellte das bis dahin gültige klassische physikalische Weltbild auf den Kopf.
Für die klassische Physik, die auf der Newtonschen Mechanik beruht, ist die Welt eine Maschine: materiell, determiniert, leblos und strengen Kausalgesetzen unterworfen. Das zugrundlegende Denkmodell ist der Descartesche Dualismus von Geist und Materie. Er teilt die Welt in eine unsichtbare, subjektiv-denkende Wirklichkeit und in eine sichtbare dinghafte Realität, die messbar, formbar und damit beherrschbar ist. Der Mensch als denkendes Subjekt steht damit außerhalb einer stofflich-materiellen Natur und ist dazu bestimmt, diese für seine Zwecke zu gebrauchen und zu verändern.

Materie besteht nicht aus Materie.

Auf der Suche nach dem, „was die Welt im Innersten zusammenhält“, machte sich die klassische Physik bald auf die Suche nach dem kleinsten Teil, dem Unteilbaren (griechisch: átomos), der „reinen Materie“, aus der sich, wie sie dachte, alle materiellen Formen zusammensetzen.

Dieses Prinzip des Zerteilens führte jedoch zu der Erkenntnis, dass die Welt weder aus Materie besteht, noch teilbar ist. Denn am Ende allen Auftrennens stellte sich heraus, dass keine unzerstörbaren Materieteilchen, sondern abstrakte Phänomene wie „Potentialität“, „Gestalt“, universell ausgebreitete  „Informations-“und „Erwartungsfelder“ übrigblieben.

Die Welt, so wurde klar, besteht nicht aus Materie. Sie besteht aus „Verbundenheit“ ohne materiellen Träger. Eine immaterielle aber trotzdem wirksame „Gestalt“ verbindet alles, was existiert. Was wir als materiell-energetische Realität erleben und was sich naturgesetzlich verhält, ist eine „Verklumpung von Gestalt“, eine „Verkrustungen immaterieller Wirkungen“, der „Fußabdruck eines „embryonal-lebendigen Mikrokosmos“.

Wir kennen uns von innen her

Anders als in der klassischen Physik ergeben sich die Beziehungen zwischen den Teilen eines Ganzen nicht sekundär als Folge einer Wechselwirkung, sie sind vielmehr Ausdruck „einer primären Identität von Allem mit Allem“. Alles Erkennen ist im Grunde ein Wiedererkennen. Jede Begegnung ist primär eine Erfahrung lebendiger Verbundenheit, ein Sein-mit und kein Sein-über. Sobald aber mein Denken einsetzt und die Spaltung zwischen Subjekt und Objekt (du da, ich hier) vollzieht, hat die ursprünglich-lebendige Verbundenheit keine Chance mehr.

Die Zukunft ist offen

„Potentialität“ ist ein nicht greifbares, kreatives, Informationen tragendendes Beziehungsgefüge, das in einem andauernden Schöpfungsprozess den jeweils nächsten Zeitschritt generiert. Die Zukunft ist also nicht etwas, was einfach hereinbricht. Sie wird gestaltet durch das, was jetzt passiert. Wir können an diesem Schöpfungsprozess teilhaben, wenn wir zu bewussten Mitspielern werden. Um das Maß an Sensibilität zu erreichen, das für diesen Prozess nötig ist, müssen wir jedoch gewohnte Sicherheiten und eingetretene Pfade verlassen und bereit sein, uns auf Instabilitäten und Chaos einzulassen. Die aktuelle krisenhafte Situation bietet sich hier als historische Gelegenheit geradezu an. Wenn wir diesem Chaos nicht ausweichen, sondern ihm gemeinsam standhalten, bringt es uns in Kontakt mit der schöpferischen Lebendigkeit des Kosmos. Das rettende Neue bekommt dann die Chance, in die Welt zu kommen.

Neue Technik, altes Denken

Wir haben als Gesellschaft die Erkenntnisse der neuen Physik in vielfältiger Weise technologisch umgesetzt. Das Spektrum reicht vom Bau von Atombomben bis zur sogenannten Künstlichen Intelligenz. Doch wir halten immer noch am Weltbild der klassischen Physik fest. Wir denken immer noch, die Welt und auch der Mensch seien Maschinen, die sich beherrschen lassen. Wir meinen immer noch, der Mensch stünde außerhalb der Natur und könne diese schadlos manipulieren. Dabei merken wir nicht, wie uns die Welt mehr und mehr entgleitet. „Wir müssen lernen“, so der Quantenphysiker Hans-Peter Dürr, „auf neue Weise zu denken und uns am Weltbild der neuen Physik orientieren.“

Die Welt – ein Gedicht

Im Denken der neuen Physik ist die Welt am ehesten mit einem Gedicht zu vergleichen. Einem Gedicht wird man nicht gerecht, wenn man es wie einen Gegenstand in seine Bestandteile zerlegt und quantifiziert; wenn man beispielsweise seine Sätze und Wörter zählt oder die Buchstaben und deren Kombinationen rechnerisch erfasst. Ein Gedicht macht nur als Ganzes Sinn. Die Bedeutung eines Gedichts − sowie auch der Welt − liegt im Ganzen. Sie erschließt sich mir nur, wenn ich mich auf dieses Ganze einlasse und mich mit ihm verbinde. Bei einem Gedicht gelingt das am besten durch Auswendig- oder besser durch Inwendiglernen, wie es der englische Begriff „learning by heart“ zum Ausdruck bringt. Um uns mit der Welt zu verbinden, brauchen wir neue Erkenntnisformen, die die Wirklichkeit gedanklich nicht zerschneiden.

Außensicht und Innensicht

„Wir müssen neue Wissensformen erproben“, meinte deshalb auch Hans-Peter Dürr, „durch die sich die Potentialität des lebendigen Kosmos entfalten kann. Dadurch werden sich uns ganz neue Schöpfungs- und Handlungsräume öffnen.“ Die Außensicht auf die Welt, die die Oberflächen betrachtet, und zwischen Mensch und Natur, Subjekt und Objekt eine Grenze zieht, muss dringend ergänzt werden durch eine Innensicht, die die Welt heil lässt. In der Innensicht ergeben sich die Erkenntnisse spontan als Einsicht, als nichtduale Wahrnehmung im zeitlosen Jetzt.

Zu dieser Form der Wahrnehmung gehören Sinneswahrnehmungen wie bewusstes Hören, Schmecken, Fühlen, Riechen, Sehen und alle Arten intuitiver und meditativer Erkenntnis. Die Welt von innen her zu verstehen, verlangt von uns, den Verstand für eine Zeit in die zweite Reihe zu stellen, um mit dem Herzen zu sehen. Diese Form der Wahrnehmung schließt das rationale Denken nicht aus. Sie bewahrt es und fügt es in eine umfassendere, tiefere Form des Verstehens ein.

Ich kann nur sein, weil Du bist

In einem schöpferischen Kosmos sind das Streben nach Selbstidentität (Wie kann ich ganz ich selbst sein?) und das Streben nach Verbundenheit (Wie kann ich Teil einer Gemeinschaft sein?) keine Widersprüche. Beide Bedürfnisse bedingen und unterstützen sich wechselseitig, wenn sie in einem sensiblen Gleichgewicht in Balance gehalten werden. Ich kann nur sein, weil Du bist. Du kannst nur sein, weil ich bin. Wir aller brauchen uns, um uns gegenseitig das Lebendigsein zu ermöglichen.

Margit

One thought on “Das Prinzip des Kosmos

  1. Fehlender
    Verständigungswille

    gepaart mit geistiger
    Überschätzung Einzelner,

    gibt der Desillusionierung
    in mir täglich mehr Raum,

    Raum, der eigentlich für
    Besseres vorgesehen war

    © 11/2008 PRV

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