Wegwerfen, Reparieren und die globale Verbundenheit

Auch ich bin Teil der Wegwerfgesellschaft, ich repariere nicht selber (außer gelegentlich den Platten am Fahrrad) und versorge mich, wenn etwas kaputt geht, gern rasch mit Neuem, weil ich meine Zeit für Anderes brauche als für langes Suchen nach kompetenten Reparateuren, die es vielleicht nicht einmal mehr gibt.

PRs Geschichte von Laura, der Spannfeder, hat mich einmal mehr zum Nachdenken gebracht.

Hier ist sie, und weiter unten meine aktuellen Überlegungen.

PR schreibt:

Wer von uns hat in den letzten 6 Jahrzehnten, an wie vielen „Schrauben“ gedreht, dass die modernen Industriestaaten allesamt, als trauriges Ergebnis, Wegwerfgesellschaften hervorgebracht haben…?

Hierzu eine Kurzgeschichte mit dem Titel „Eine Feder Namens Laura“

Eine kleine, „wahre“ Geschichte aus grauer, deutscher Vorzeit um 1960 –

 Laura, ihres Zeichens Feder, genauer gesagt Spannfeder, tat ihren Dienst über viele Jahre hinaus in einem Elektro-Toaster mit Namen Egon – dann aber schwächelte sie, verweigerte hin und wieder ihren Dienst im Gefüge und damit das Funktionieren besagten Elektrogerätes.

Fritz, der Besitzer dieses Gerätes versuchte, durch leichtes Hin- und Herschütteln des Elektro-Toasters mit Namen Egon, das einwandfreie Funktionieren wieder zu erreichen, was ihm auch, nach kurzem und manchmal etwas längerem Krafteinsatz gelang 

Fritz war sehr geduldig, indem er immer wieder, dieses Spiel, über Wochen und Monate hinaus, fast allmorgendlich wiederholte, um die entsprechende und liebgewordene Dienstleistung von Egon in Anspruch nehmen zu können 

Doch dann kam der Tag, an dem sich trotz Schütteln und guter Worte kein entsprechender Erfolg einstellten wollte. Fritz ging daraufhin mit Egon unterm Arm zu einem Fachmann aus der Elektrobranche.

Der gute Mann stellte, nachdem er sich die Leidensgeschichte von Fritz angehört hatte – ohne Egon zu öffnen – fest, es ist, mit ziemlicher Sicherheit mal wieder Laura, die hier schlapp gemacht hat. Egon wurde daraufhin von ihm mit ein paar Handgriffen geöffnet, die alte Laura, die Dienstverweigerin, durch eine neue, fabrikfrische Laura ersetzt und Egon hernach, mit wiederum nur ein paar Handgriffen, wieder zusammengebaut.

Fritz war dem Fachmann sehr dankbar dafür, dass er keinen neuen Toaster kaufen musste und nun Egon wieder einwandfrei funktionierte.

 Kosten der Reparatur, einschließlich Ersatzteil:

1 Spannfeder Typ Laura = DM 1,15

                 + Arbeitslohn = DM 4,85

                                         DM 6,00

 Für ein neues Gerät hätte Fritz zu diesem Zeitpunkt (um 1960) DM 17,50 auf die Verkaufstheke legen müssen!

  

Z E I T E N S P R U N G

 Eine kleine, „wahre“ Geschichte aus der deutschen Moderne (2023)

Laura, ihres Zeichens Feder, genauer gesagt Spannfeder, tat ihren Dienst innerhalb der Garantiezeit in einem Elektro-Toaster mit Namen Egon – dann aber schwächelte sie, verweigerte hin und wieder ihren Dienst im Gefüge und damit das Funktionieren besagten Elektrogerätes. Fritz, der Besitzer dieses Gerätes versuchte, durch leichtes hin und her Schütteln des Elektro-Toasters Egon das einwandfreie Funktionieren wieder zu erreichen. Doch so viel und heftig er auch schüttelte, Egon war nicht dazu zu Überreden.

Fritz war kein Techniker, dennoch sah er sich seinen Toaster Egon etwas genauer an, um eventuell selbst mal nach dem Rechten zu sehen – stellte aber sogleich fest, dass er dieses Gerät nicht öffnen konnte, da sein Gehäuse rundherum verschweißt war.  Fritz ging daraufhin, da die Garantiezeit leider abgelaufen war, mit Egon unterm Arm, zu einem Fachmann aus der Elektrobranche.

Der gute Mann stellte, nachdem Fritz seinen Toaster auf die Verkaufstheke gestellt hatte, unumwunden fest, es ist,  mit ziemlicher Sicherheit mal wieder Laura, die hier schlapp gemacht hat!  Was nun, fragte Fritz. Tja guter Mann, erwiderte  der Gefragte, Laura als Ersatzteil kostet 12 Cent – ich könnte das Gehäuse,unter Umständen öffnen, Laura ersetzen und das Gerät mit etwas Zeitaufwand wieder zusammensetzen.

Okay, was kostet das, fragte Fritz… Ich denke, inklusiv Arbeits- und Materialkosten läge die Reparatur bei etwa fünfzig Euro plus Märchensteuer, also rund sechzig Euro (60,00 €)… erwiderte der Mann und setzte hinzu, ich rate ihnen aber, schmeißen sie das Teil auf den Müll und kaufen ein neues Gerät – bei mir zurzeit gerade im Angebot für ganze zwölf-euro-neunundneunzig (12,99 €)!

 E N D E der Geschichte…   © 03/2023 PRV

Anmerkung: Um 1960 herum hätten wir für ein Neues Gerät fast drei Alte reparieren lassen können – heute können wir, anstatt eine Reparatur durchführen zu lassen, über 4,6 neue Geräte kaufen – das Ganze einhergehend mit immer größer werdenden Müllbergen und dem extrem ansteigenden Verbrauch wertvoller Ressourcen! Als eine positive Entwicklung sehe ich in diesem Zusammenhang, die sich seit einiger Zeit etablierenden Repair Cafés! Hierbei allerdings hängt eine mögliche Reparatur meist davon ab, ob das jeweilige Gerät zugänglich, nicht verklebt ist!     

 

Soweit PR, und ich (CK) übernehme:

Die ökonomische Logik der Wegwerfgesellschaft ist in der Tat ziemlich überwältigend und man kann kaum einem Menschen moralische Vorwürfe machen, wenn er an ihr teilnimmt. Der Reparateur braucht weitaus mehr Stunden, um das defekte Gerät wiederherzustellen, als es in der heutigen meist hochautomatisierten Produktion an Arbeitsstunden braucht, um ein ganzes neues Gerät herzustellen.

Die Produktivität hat sich enorm gehoben, diese Art von Konsum von massenhaft relativ günstig verfügbaren Waren hat sogar etwas von der Aura der Überflussgesellschaft und etwas von dem Versprechen, auch die sozial Benachteiligten aus dem direkten Mangel herauszuholen, indem die Basics nicht mehr viel kosten.

Aber es gibt noch andere, übergeordnete Zusammenhänge. Zum Beispiel folgenden:

An dem Gerät, an dem Kleidungsstück, an dem Lebensmittel, das wir kaufen, erfahren wir im Gebrauch oder Verbrauch des erworbenen Produkts dessen unmittelbare technische und ästhetische Qualitäten, jedoch nicht nur diese, sondern: die Ware verbindet uns, wenn wir uns dieser Wahrnehmung öffnen wollen, mit den Menschen, die sie produziert haben.

Heute entstammt die Ware, das Produkt, das wir nutzen, vielfach einer hochautomatisierten Produktion und in vielen Fällen liegen die Zeiten schon weit zurück, als am Band Scharen von Arbeiter/innen das Gerät zusammengesetzt haben: entworfen haben es aber noch immer Menschen im Hinblick auf andere Menschen, die es gebrauchen sollen, und wenn es gut entworfen wurde, dann auch aufgrund von Fähigkeiten, sich in andere und ihre Bedürfnisse einzufühlen. Menschen haben die Ware ästhetisch designt, damit sie von anderen Menschen als etwas Anziehendes, als eine Bereicherung ihres Lebens empfunden wird. Menschen haben die automatischen Produktionsstrecken entworfen und gebaut, von denen das Produkt ausgeworfen wurde.

Unter heutigen kapitalistischen wirtschaftlichen Voraussetzungen ist die Ware normalerweise das Produkt einer Privatarbeit völlig getrennt lebender Individuen bzw. Individuen-gruppen und insofern trägt sie etwas von unser aller Gleichgültigkeit gegenüber den Produzenten der Ware an der Stirn und auch von der Gleichgültigkeit derjenigen, die sie produziert haben, gegenüber ihren anonymen Käufern und Nutzern.

Die Näherin in China oder Bangladesch, die auf Akkord Jeans, Sportschuhe oder edle Ledertaschen zusammennäht, denkt wahrscheinlich kaum an die Käufer auf einem anderen Kontinent, sondern eher daran, wie sie den Zeitdruck durchhält und genug verdient, um ihre Familie am Leben zu halten.

Wenn wir anders hinsehen wollen, sagt die Ware aber auch etwas über die Angewiesenheit aller Menschen auf viele, sehr viele andere Menschen aus, die einander zwar kaum je begegnen werden und sich im Alltag kaum füreinander interessieren, aber doch füreinander da sind, indem sie produzieren, was andere brauchen und indem sie das Produzierte kaufen und den Produzenten zum Lebensunterhalt beitragen.

Ist das zu romantisch gedacht? Wenn da doch etwas Reales dran ist, kann man vielleicht auch bestimmte eher untergründige Motive der Wertschätzung erahnen, die heute manche Menschen dem Produkt in der Weise entgegenbringen, dass sie es lieber durch Reparatur erhalten als auf den Müll befördern (lassen) wollen.

Dem Reparieren den Vorzug geben, das kann die unterschiedlichsten Motive haben. Vielleicht hat man gerade kein Geld, ein neues Ersatzprodukt zu kaufen, vielleicht ist der kaputte Gegenstand schön oder trägt Erinnerungen an sich; vielleicht macht es auch einfach Spaß, sich in ein technisches Gerät, ein altes Auto, eine Kamera, ein Möbelstück zu vertiefen und die eigenen technischen und manuellen Fähigkeiten ins Spiel zu bringen.

Wie gesagt, ich repariere nicht selber und versorge mich, wenn etwas kaputt geht, gern rasch mit Neuem. Aber ich sehe an und hinter jedem Stück auch die Menschen, die es produziert, transportiert und verkauft haben. Als ich in Indien und Südkorea war, habe ich auch Fabriken aufgesucht und Kontakte mit Menschen aus der Produktion gesucht.  Ich möchte, auch nachdem ich längst solche Reisen einstellen musste, wertschätzend mich zum Produkt ihrer Leistungen verhalten, das heißt: mich zu ihnen verhalten, wenn auch nur auf eine indirekte Weise.

Die Wegwerfmanier ist mir zu sehr verhaftet einem Verständnis der Ware als eines Irgendwas, das einen bestimmten Geldwert verkörpert und um dieses Geldwertes willen produziert wurde, egal von wem und egal von wem sie gekauft wurde. Die Ware hat aber auch eine ganz andere Seite: sie ist von Menschen produziert worden, damit die Käufer und die Produzenten leben können.

CK

 

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